Rezension: Das andere Viertel / Edgar Weimann, Jörg Ratai Das, was uns unerwartet und unmittelbar angreift, anfasst, mitnimmt und wie ein Duft, eine Erinnerung, hineinzieht in ein Gefühl, ist heute oft genug zu suchen. Man findet es aber unschwer in den Songs – die auch wirklich den Namen „Chansons“ verdienen – auf „Das andere Viertel“ der beiden Magdeburger Edgar Weimann und Jörg Ratai. Beide haben auf ihrem ersten Album eine kongeniale Zusammenarbeit abgeliefert.
Die Bilder, die Textpoet Edgar Weimann in seiner schnörkellosen, plastischen – doch nichts weniger als luziden, farbigen Sprache hinwirft, formt Jörg Ratai in musikalische Arrangements, die an Lebendigkeit und Fleisch nichts zu wünschen übrig lassen. Für die Produktion im renommierten Waldhausstudio von Mohi Buschendorf hat man sich die besten Instrumentalisten der Region zusammengeholt. In oft ohrwurmhaften, manchmal zurückhaltenden, zarten – manchmal zupackenden, fröhlichen Melodien und immer in ausgefeilter Harmonik ausgeformt, glitzern Gitarren, Oboe, Flöte und Sax um die Wette mit der Songlyrik. Die trägt den Fingerabdruck einer Reife die nur hat, wer Leben, Liebe und Schmerz gut kennt.
Weimann hört in sich hinein – hört nach und fragt, was die Dinge mit uns machen, wie und wann sie uns verändern und warum man sich mit den Dämonen des Alltags, der Zeit und der Umstände nicht abfinden darf. Hier ist einer, der oft genug mit sich ringt, der die Abstumpfung an sich selbst und anderen hasst, der weiß, dass es schwer ist zu leben und der dann doch immer wieder zu der Einsicht kommt, dass genau dieses Leben genug funkelnde Momente bietet, die bewahrt und gehalten werden wollen. Und sie wollen beschrieben sein.
So kommt es, dass „Das andere Viertel“ eben auch durch tänzerische Leichtigkeit besticht, so in Liedern wie „Märzenbecher“, dem sonnensatten „Sant Abbondio“ oder „Frühling“: ein wunderbarer, praller Lebenshunger findet in solchen Songs seinen Ausdruck. Selbstzerstörerisch oder ausweglos grübelnd sind Weimanns Texte kaum – sie lassen einen Horizont zu. Intim ist der Ton der Chansons immer, vor allem die schlicht schönen, innigen und tief empfundenen Liebeslieder aber sind es, die dem Album sein Aroma, seine warme Atmosphäre verleihen. „Du da“ oder das beschwörende „Lass es nie vergehen“ schaffen es in der Tat, Klischees zu umschiffen und dem oft Gehörten mit neuem, gänzlich eigenem Klang und Gestus Atem einzuhauchen. Dieser Effekt hat wohl auch mit der Interpretation zu tun. Auch die ist klar, authentisch, dicht und unverbildet.
Vielleicht liegt die direkte Wirkung der Worte eben gerade in der geradlinigen Unmittelbarkeit der Stimme von Edgar Weimann, die keine Arabesken braucht. Die kommen umso feingliedriger im virtuosen Spiel von Gitarrist Jörg Ratai zum Ausdruck. Oft genug perlen hier die Läufe, lassen Songstrukturen durchlässig erscheinen und bringen die Musik zum Leuchten. Dem „anderen Viertel“ – man kann es nur wünschen – wird sich hoffentlich bald ein weiteres zugesellen. Bis dahin eine dringende Empfehlung des Albums an alle Chanson-Liebhaber.
Ilka Hein, MDR, August 2015